Das Thema Abschiebungen in Deutschland ist ein komplexes und kontrovers diskutiertes Feld, das durch den jüngsten Vorfall in Solingen, bei dem der Syrer Issa al-H. mutmaßlich drei Menschen tötete und acht weitere verletzte, erneut ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist. Dieser Vorfall beleuchtet die Schwierigkeiten, mit denen deutsche Behörden bei der Durchführung von Abschiebungen konfrontiert sind, und wirft grundlegende Fragen zur Effektivität und Organisation dieser Maßnahmen auf.
Die Zahl der Ausreisepflichtigen in Deutschland
In Deutschland sind laut einer aktuellen Auskunft der Bundesregierung rund 233.000 Menschen ausreisepflichtig. Diese hohe Zahl ist bemerkenswert und zeigt die Herausforderung, vor der die Behörden stehen. Von diesen 233.000 Menschen haben etwa 187.000 eine sogenannte Duldung. Eine Duldung bedeutet, dass die Abschiebung dieser Personen vorübergehend ausgesetzt ist. Dies kann aus verschiedenen Gründen geschehen, beispielsweise aufgrund fehlender Reisedokumente, die oftmals von den Heimatländern der betroffenen Personen nicht ausgestellt werden. Weitere Gründe für eine Duldung können familiäre Verbindungen in Deutschland, schwerwiegende gesundheitliche Probleme oder die Tatsache, dass die betroffene Person in Deutschland arbeitet oder eine Ausbildung absolviert, sein.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass die Bundesregierung in bestimmten Fällen Abschiebungen aus humanitären Gründen aussetzt, etwa wenn die Zustände im Heimatland der betroffenen Person eine Rückkehr unmöglich machen. Dies betrifft derzeit beispielsweise Länder wie Afghanistan oder Russland. Trotz dieser Duldungen bleibt eine beträchtliche Zahl von etwa 45.000 Menschen, für die eine Abschiebung prinzipiell vorgesehen ist.
Durchführung und Herausforderungen bei Abschiebungen
Im Jahr 2023 wurden laut Angaben der Bundesregierung etwa 16.000 Menschen aus Deutschland abgeschoben. Diese Zahl markiert eine deutliche Steigerung gegenüber den Vorjahren und setzt sich auch im Jahr 2024 fort, wo im ersten Quartal bereits knapp 4.800 Abschiebungen verzeichnet wurden. Interessant ist hierbei, dass ein Drittel dieser Abschiebungen im Rahmen des Dublin-Abkommens innerhalb der Europäischen Union stattfand. Dieses Abkommen besagt, dass Asylbewerber in dem EU-Land Asyl beantragen müssen, in dem sie erstmals registriert wurden. So hätte auch Issa al-H., der ursprünglich über Bulgarien in die EU eingereist war, gemäß den Dublin-Regeln in Bulgarien bleiben müssen.
Die meisten Abschiebungen in den letzten Jahren führten nach Angaben der Bundesregierung nach Georgien, Österreich und Nordmazedonien. Dabei waren insbesondere Staatsangehörige aus Georgien, der Türkei, Nordmazedonien, Albanien und Afghanistan betroffen. Ein weiterer Punkt, der zu beachten ist, ist die steigende Zahl derjenigen, die Deutschland freiwillig verlassen. Diese freiwilligen Ausreisen werden teilweise durch finanzielle Anreize gefördert, was dazu beiträgt, die Gesamtzahl der ausreisepflichtigen Personen zu verringern.
Ein wichtiger Faktor, der ebenfalls zur Reduzierung der Anzahl ausreisepflichtiger Personen beiträgt, ist das Chancenaufenthaltsrecht, das von der Ampel-Koalition eingeführt wurde. Dieses Recht ermöglicht es langzeitgeduldeten Personen, unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe zu erhalten. Diese Erlaubnis gilt für eineinhalb Jahre und kann, wenn die Voraussetzungen erfüllt bleiben, in einen dauerhaften Aufenthaltsstatus umgewandelt werden. Dies bietet vielen Menschen, die bisher nur geduldet waren, eine Perspektive in Deutschland und trägt ebenfalls dazu bei, die Zahl der ausreisepflichtigen Personen zu senken.
Gründe für das Scheitern von Abschiebungen
Trotz der steigenden Zahl erfolgreicher Abschiebungen gibt es eine erhebliche Anzahl an Abschiebungen, die scheitern. Im Jahr 2023 wurden mehr als 31.000 Abschiebungsversuche abgebrochen, im ersten Quartal 2024 waren es bereits über 7.000. Diese hohe Zahl gescheiterter Abschiebungen wirft Fragen zur Effizienz und Organisation der deutschen Abschiebepolitik auf.
Die Gründe für das Scheitern von Abschiebungen sind vielfältig. Ein Großteil der Abschiebungen scheitert bereits, bevor die betroffene Person überhaupt der Bundespolizei übergeben wird, die normalerweise für die Durchführung der Abschiebungen zuständig ist. Die Bundesregierung nennt als Hauptgründe für das Scheitern „Stornierung des Ersuchens“ und „nicht erfolgte Zuführung“. Diese Begriffe stehen für eine Vielzahl von Gründen: Häufig kann es vorkommen, dass betroffene Personen erfolgreich gegen ihre Abschiebung klagen oder dass die erforderlichen Reisedokumente nicht rechtzeitig vorliegen. In einigen Fällen könnte auch Personalmangel bei den zuständigen Behörden eine Rolle spielen, wie aus einer Analyse der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik hervorgeht.
Ein weiteres häufiges Problem ist das Verschwinden der ausreisepflichtigen Personen vor der geplanten Abschiebung. Dies war auch im Fall von Issa al-H. ein Problem. Nachdem die deutschen Behörden versucht hatten, ihn nach Bulgarien abzuschieben, wo er erstmals in die EU eingereist war, verschwand al-H. und war für die Behörden nicht mehr auffindbar. Für solche Überstellungen gelten strenge Fristen: Deutschland hat in der Regel sechs Monate Zeit, um eine Person nach einer Ablehnung des Asylantrags abzuschieben. Wird die Person innerhalb dieser Zeit nicht gefunden, kann die Frist auf 18 Monate verlängert werden. Im Fall von al-H. versäumten es die deutschen Behörden jedoch, diese Frist zu verlängern, wodurch Deutschland ab Sommer 2023 offiziell für seinen Aufenthalt verantwortlich war.
Islamistischer Terror in Deutschland: Eine bedrohliche Realität
Der Fall Issa al-H. und das Scheitern seiner Abschiebung wirft ein Licht auf ein weiteres ernstes Problem: die Bedrohung durch islamistischen Terror in Deutschland. Seit den frühen 2000er Jahren hat das Land eine Reihe von Anschlägen und geplanten Anschlägen erlebt, die teilweise vereitelt werden konnten, teilweise jedoch zu tragischen Verlusten führten. Der „Kofferbomber von Köln“ im Jahr 2006, die Sauerland-Gruppe, die Anschläge von Würzburg und Ansbach im Jahr 2016 sowie der schreckliche Angriff auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 sind nur einige Beispiele für die Bedrohung durch islamistischen Extremismus in Deutschland.
Viele der Täter in diesen Fällen waren entweder in Deutschland aufgewachsen oder kamen als Flüchtlinge ins Land. Diese Tatsache führt zu einer intensiven Debatte über die Integrationspolitik und die Maßnahmen zur Verhinderung von Radikalisierung. Die deutschen Sicherheitsbehörden stehen vor der schwierigen Aufgabe, solche Bedrohungen frühzeitig zu erkennen und zu verhindern, während gleichzeitig die Grundrechte aller Menschen respektiert werden müssen.
Die Notwendigkeit einer umfassenden Strategie
Die Diskussion um Abschiebungen in Deutschland zeigt die Komplexität und die Herausforderungen, die mit diesem Thema verbunden sind. Während die Zahl der Abschiebungen in den letzten Jahren gestiegen ist, bleibt die Tatsache bestehen, dass viele Abschiebungen scheitern und dass es erhebliche organisatorische und rechtliche Hürden gibt. Gleichzeitig stellt die Bedrohung durch islamistischen Terror eine ernsthafte Herausforderung für die Sicherheit im Land dar.
Es ist offensichtlich, dass Deutschland eine umfassende und durchdachte Strategie benötigt, um diese Probleme anzugehen. Dazu gehört nicht nur eine effektivere Organisation von Abschiebungen, sondern auch eine intensivere Prävention von Radikalisierung und eine bessere Integration von Migranten und Flüchtlingen. Der Fall von Issa al-H. zeigt, dass es keine einfachen Lösungen gibt, sondern dass eine ganzheitliche und langfristige Perspektive erforderlich ist, um die Herausforderungen in den Griff zu bekommen und die Sicherheit für alle Menschen in Deutschland zu gewährleisten.