Wie Geburtenrate und Migration unsere Zukunft beeinflussen

Von Heinz Gerhard Schwind
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Der demografische Wandel als unterschätzte Bedrohung

Deutschland steht vor einer demografischen Herausforderung, die unsere Zukunft erheblich beeinflussen wird. Diese Veränderung ist nicht weniger gravierend als der Klimawandel und wird häufig unterschätzt. Die Bevölkerungszahl wächst derzeit nur durch Zuwanderung, aber diese Strategie wird langfristig nicht ausreichen, um den Bevölkerungsrückgang und die Alterung zu stoppen. Eine Studie der University of Washington prognostiziert, dass bis zum Ende dieses Jahrhunderts die Bevölkerung in 198 von 204 Ländern der Erde abnehmen wird.

Die aktuelle Situation in Deutschland

Gegenwärtig leben in Deutschland so viele Menschen wie nie zuvor. Doch dieser Zustand ist vor allem der Zuwanderung zu verdanken. Ohne die Einwanderung der letzten Jahrzehnte wäre die Bevölkerungszahl bereits rückläufig. Das Statistische Bundesamt berichtete 2017, dass Deutschland ohne Zuwanderung nur noch 63 Millionen Einwohner hätte. Trotz dieser kurzfristigen Entlastung durch Zuwanderung bleibt das strukturelle Problem bestehen: Die Geburtenrate in Deutschland liegt seit Jahren unter dem Niveau, das zur Erhaltung der Bevölkerung notwendig wäre.

Warum uns die demografische Veränderung nicht bewusst ist

Demografische Entwicklungen sind langfristig und oft schwer zu erkennen. Eine Beispielrechnung verdeutlicht die dramatischen Auswirkungen: Bei einer Geburtenrate von 1,4 Kindern pro Frau schrumpft die Bevölkerung von Generation zu Generation. Eine Generation von 2000 Personen würde nach sieben Generationen auf ein Achtel ihrer ursprünglichen Größe reduziert sein. Harald Michel, Leiter des Instituts für angewandte Demographie in Berlin, warnt: „In zwei Generationen ist die Sache gegessen. Eine Anpassung ist dann nicht mehr machbar.“

Dynamik der Bevölkerungsentwicklung

Die Dynamik der Bevölkerungsentwicklung ist trügerisch, da demografische Veränderungen nur langsam sichtbar werden. Dies führt dazu, dass die drohende Gefahr oft übersehen wird. Solange der „Berg“ der Babyboomer-Generation das schrumpfende Potenzial zukünftiger Eltern verdeckt, bleibt das Ausmaß der demografischen Krise im Verborgenen. Doch sobald diese Generation das Rentenalter erreicht, werden die Auswirkungen unübersehbar. Selbst wenn wir ab morgen wieder eine Geburtenrate von 2,1 Kindern pro Frau erreichen würden, würde die Bevölkerung noch etwa fünfzig Jahre weiter schrumpfen und sich erst danach bei ungefähr 40 Millionen Einwohnern stabilisieren.

Mathematik der Bevölkerungsentwicklung

Demografen erstellen keine unsicheren Prognosen, sondern genaue Vorausberechnungen. Alle Frauen, die in den kommenden 15 Jahren Kinder bekommen können, sind bereits geboren. Bei der seit den 1970er Jahren stabilen Gesamtfruchtbarkeitsrate von 1,4 Kindern pro Frau lässt sich die zukünftige Bevölkerungsgröße exakt berechnen. Diese Berechnungen sind äußerst zuverlässig: Eine UNO-Vorausberechnung aus dem Jahr 1958 prognostizierte die Weltbevölkerung des Jahres 2000 mit nur 3,5 Prozent Abweichung.

Die Bedeutung der Geburtenrate und der Gesamtfruchtbarkeitsrate

Die Geburtenrate gibt die Zahl der Geburten pro 1000 Einwohner pro Jahr an, während die Gesamtfruchtbarkeitsrate (TFR) aussagt, wie viele Kinder eine Frau im Laufe ihres Lebens bekommen würde, wenn sie sich so verhält wie die Frauen eines bestimmten Jahres. Im Jahr 2023 betrug diese in Deutschland 1,36 Kindern pro Frau. Solange die Zahl gebärfähiger Frauen schrumpft, wird auch die absolute Zahl der Geburten abnehmen, selbst wenn die TFR wieder steigt. Diese mathematischen Zusammenhänge sind unumstößlich und machen deutlich, wie schwierig es ist, eine negative demografische Entwicklung zu korrigieren.

Auswirkungen des demografischen Wandels

Ab 2025 erreichen die Babyboomer der 1960er Jahre das Rentenalter, was die Sozialsysteme belastet. Schon heute subventionieren wir die gesetzliche Rentenversicherung mit über 100 Milliarden Euro jährlich aus Steuermitteln. Diese Mittel müssen in Zukunft von einer schrumpfenden Anzahl von Beitragszahlern aufgebracht werden. Gunnar Heinsohn, Wirtschaftswissenschaftler aus Bremen, warnt, dass Deutschland seine wenigen jungen Talente überfordern und ins Ausland treiben könnte.

Die Belastung der Sozialsysteme

Das deutsche Rentensystem steht vor einer erheblichen Herausforderung. Da es auf dem Umlageverfahren basiert, in dem die heutigen Beitragszahler die Renten der aktuellen Rentner finanzieren, führt eine sinkende Zahl von Beitragszahlern zwangsläufig zu Finanzierungslücken. Schon jetzt müssen jährlich über 100 Milliarden Euro aus Steuermitteln zugeschossen werden, um die Renten zu sichern. Diese Subventionen werden zukünftig weiter steigen müssen, was die finanzielle Belastung der jungen Generation erheblich erhöht. Hinzu kommt der Schuldenberg, der während der aktuellen „fetten Jahre“ angehäuft wurde und den die zukünftigen Generationen abtragen müssen.

Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt

Der demografische Wandel wird auch den Arbeitsmarkt stark beeinflussen. Weniger junge Menschen bedeuten weniger Arbeitskräfte, was zu einem zunehmenden Fachkräftemangel führt. Unternehmen müssen sich stärker um qualifizierte Mitarbeiter bemühen, was die Löhne steigen lässt. Dies könnte wiederum die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft beeinträchtigen. Zudem werden Berufe, die heute als weniger attraktiv gelten, wie etwa in der Pflege oder im Handwerk, noch schwerer zu besetzen sein. Die wachsenden Lücken auf dem Arbeitsmarkt lassen sich nicht einfach durch Geld schließen, da qualifizierte Arbeitskräfte nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen.

Auswirkungen auf die Infrastruktur und den Immobilienmarkt

Die Infrastruktur und die Immobilienmärkte in Deutschland sind auf die gegenwärtige Bevölkerungsgröße ausgelegt. Ein Rückgang der Bevölkerung wird Billionenwerte nutzlos machen. Der Rückbau von Infrastrukturen, die für eine größere Bevölkerung geplant wurden, wird weitaus schwieriger zu organisieren sein als deren Aufbau. Zudem wird die Innovationskraft unserer Gesellschaft abnehmen. Ältere Menschen neigen weniger dazu, Risiken einzugehen und Innovationen voranzutreiben. Dies könnte langfristig zu einer Stagnation oder sogar zu einem Rückgang des Wohlstands führen. Eine Studie der Beratungsgesellschaft Korn-Ferry schätzt, dass der demografische Wandel allein bis 2030 Wohlstandsverluste von 630 Milliarden Euro nach sich ziehen könnte.

Zuwanderung als Lösung?

Die Bundesregierung setzt auf Zuwanderung, um den Fachkräftemangel zu kompensieren. Monika Schnitzer, Mitglied der Wirtschaftsweisen, fordert 1,5 Millionen Einwanderer pro Jahr. Doch qualifizierte Einwanderer aus Europa werden rar, da unsere Nachbarländer ähnliche demografische Probleme haben. Zuwanderer aus dem arabischen und afrikanischen Raum sind oft nicht ausreichend qualifiziert, was zu weiteren Belastungen der Sozialsysteme führt.

Die Herausforderung der Integration

Einwanderer aus dem arabischen und afrikanischen Raum sind häufig nicht ausreichend qualifiziert für den deutschen Arbeitsmarkt. Dies führt zu zusätzlichen Belastungen der Sozialsysteme.Zudem ist es keineswegs sicher, dass eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt auch zu einer erfolgreichen Integration in die Gesellschaft und Kultur führt. Fachliche Qualifikation bedeutet nicht automatisch eine Übernahme westlicher Lebensweisen. Da die Einstellungen und Werte eines Menschen in erster Linie von den Eltern geprägt und von Generation zu Generation weitergegeben werden, hat der Staat nur begrenzten Einfluss auf die zukünftige Entwicklung der Zuwanderer.

Langfristige Perspektiven der Zuwanderung

Selbst wenn es gelänge, genügend qualifizierte Zuwanderer anzuwerben, würde dies das demografische Problem nicht lösen. Die Gesamtfruchtbarkeitsrate bleibt auch bei Zuwanderern niedrig. Langfristig kann Zuwanderung die Bevölkerungszahl nur vorübergehend stabilisieren, aber keine nachhaltige Lösung bieten. „Kulturell und sozial wird das nicht umsetzbar sein“, ist sich Harald Michel bewusst. Zudem könnte eine zunehmende ethnische Diversität zu gesellschaftlicher Instabilität und Konflikten führen. Der Soziologe Robert Putnam hat in einer vielbeachteten Studie nachgewiesen, dass das soziale Vertrauen mit zunehmender ethnischer Diversität abnimmt.

Die Grenzen der Zuwanderung

Wenn die Gesamtfruchtbarkeitsrate auf dem gegenwärtigen Niveau bleibt und wir das Problem nur durch Zuwanderung zu lösen versuchen, wird es ab einem bestimmten Zeitpunkt keine Mehrheitsgesellschaft mehr geben, in die sich die Ankommenden integrieren könnten. Zwar werden die Einwanderer im Laufe der Zeit zu Deutschen und können den Neuankömmlingen der nächsten Generation bei der Integration helfen. Doch da Integration Zeit benötigt und die beschriebenen Prozesse sich immer weiter beschleunigen, besteht die Gefahr, dass der Faden der kulturellen Überlieferung abreißt. In zwei bis drei Generationen könnte Deutschland zu einem Vielvölkerstaat werden, in dem es kein Band mehr gibt, das die verschiedenen Gruppen zusammenhält, wie der Demograf Herwig Birg befürchtet. Niemand kann mit Gewissheit voraussagen, ob dieses unumkehrbare Experiment erfolgreich sein wird.

Was zu tun ist

Eine Steigerung der Produktivität, Erhöhung der Frauenerwerbsquote und Anhebung des Renteneintrittsalters können den Bevölkerungsrückgang nur zeitweise kompensieren. Thomas Straubhaar sieht in künstlicher Intelligenz und Robotik eine Lösung, übersieht jedoch, dass Maschinen keine Steuern zahlen oder soziale Strukturen aufrechterhalten können. Somit bleibt nur die Möglichkeit, die Geburtenrate zu erhöhen.

Erfolgsbeispiele aus dem Ausland

Frankreich und die skandinavischen Länder zeigen, dass eine hohe Geburtenrate durch gute Kinderbetreuung und steuerliche Anreize möglich ist. Frankreich erreicht bereits seit Jahrzehnten konstant hohe Geburtenraten durch eine gut ausgebaute Kinderbetreuung und durch gezielte steuerliche Anreize, die vor allem die Geburt zweiter und dritter Kinder fördern. Auch in den skandinavischen Ländern ist die Geburtenrate höher als im EU-Durchschnitt. Hier sind es vor allem flexible Arbeitszeiten und ein umfassendes Angebot an Kindertagesstätten, die es Eltern erleichtern, Familie und Beruf zu vereinbaren.

Familienpolitik in Deutschland

Martin Bujard vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung hat nachgewiesen, dass Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf die Geburtenrate signifikant erhöhen. Dazu gehören Teilzeitangebote und eine gute Betreuungsinfrastruktur für Kinder. Besonders wichtig sind Kita-Plätze für unter Dreijährige, da sie es Eltern ermöglichen, früher in den Beruf zurückzukehren und somit den Zwiespalt zwischen „Kind und Karriere“ zu verringern. Noch hilfreicher wären flexiblere Arbeitsstrukturen im Sinne „atmender Lebensläufe“.

Das Optionszeitenmodell

Ein vielversprechendes Modell ist das Optionszeitenmodell von Karin Jurczyk und Ulrich Mückenberger, das jedem Arbeitnehmer ein Zeitbudget von 9 Jahren für Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen, Weiterbildungen und persönliche Auszeiten einräumt. Flexiblere Arbeitsstrukturen und unterstützende Rahmenbedingungen wie Betriebskitas, Homeoffice und Steuerfreiheit ab dem dritten Kind könnten zusätzlich helfen. Diese „Optionszeiten“ könnten durch „Ziehungsrechte“ je nach Bedarf flexibel über den Lebenslauf hinweg in Anspruch genommen werden, sei es durch eine Unterbrechung der Erwerbsarbeit oder durch Teilzeitarbeit, wodurch sich die genannten Zeiten entsprechend verlängern würden.

Gesellschaftliche Unterstützung für Familien

Unterstützende Rahmenbedingungen wie Betriebskitas, Homeoffice, Steuerfreiheit ab dem dritten Kind, eine nach der Kinderzahl gestaffelte Rentenhöhe, durch öffentliche Dienste, die Eltern so weit wie möglich zeitlich entlasten und durch einen Umbau der Gesellschaft zu mehr Kinderfreundlichkeit. „Entweder werden wir irgendwann keine Kinder mehr haben, oder die Gesellschaft muss besser auf die Bedürfnisse von Eltern eingehen“, sagt Karin Jurczyk. Bislang ist es jedoch so, dass längere Auszeiten im Beruf meist zu einem Karriereknick führen, was der Hauptgrund für das niedrigere Lebenseinkommen von Frauen ist.

Arbeitgeber in der Verantwortung

Arbeitgeber sind gefordert, Programme zu entwickeln, mit denen Frauen und Männer auch während der Familienzeit den Kontakt zum Betrieb und gleichzeitig ihr Fachwissen auf dem aktuellen Stand halten können. „In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Das müssen sich auch die Arbeitgeber fragen“, mahnt Jurczyk. Dies mag nicht einfach sein und einigen Arbeitgebern nicht gefallen, aber wenn wir nichts unternehmen, wird die Zukunft unseres Landes und Europas düster aussehen, besonders für diejenigen, die keine eigenen Kinder haben.

Der demografische Wandel stellt Deutschland vor große Herausforderungen, die durch Zuwanderung allein nicht gelöst werden können. Es bedarf struktureller Veränderungen, um die Geburtenrate zu erhöhen und die Zukunft unseres Landes zu sichern. Wie Karin Jurczyk sagt: „Entweder werden wir irgendwann keine Kinder mehr haben, oder die Gesellschaft muss besser auf die Bedürfnisse von Eltern eingehen.“ Arbeitgeber und Politik müssen gemeinsam Lösungen entwickeln, um den demografischen Wandel zu meistern und eine lebenswerte Zukunft für kommende Generationen zu sichern.

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